Kapitel B : An Artistic Archive of Borders
30.05 – 08.07.2018
Kunstraum München
Eröffnung: Dienstag, 29.05., 19 Uhr
Künstlergespräch: Sonntag 08.07., 16 Uhr
mit Heinz-Norbert Jocks
Kuratiert von Nina Holm
Die Ausstellung ist mittwochs bis sonntags von 14 bis 19 Uhr geöffnet.
Egal an welchem Ort wir uns befinden, es gibt immer Linien und Formen, die vor oder hinter uns liegen und unser Dasein bestimmen: Grenzen. „An Artistic Archive of Borders“ von Isaac Chong Wai (geb. 1990) untersucht die Entstehung von Grenzen und deren Assoziationen in der heutigen Welt. Die Ausstellung im Kunstraum versammelt frühere als auch neue Werke: Installationen, Objektarbeiten an Wand und Boden, Fotoarbeiten und Videos.
Chong geht der abstrakten Idee einer Grenze nach und stellt folgende Fragen: Wie ist eine Grenze konstruiert? Wie kann sie mittels künstlerischer Praxis neu gedacht und gestaltet werden? Kann eine Grenze Schmuck sein? Kann sie süß und weich sein? Kann eine Grenze eine verkäufliche Ware sein? Sich diesen Aspekten widmend, schafft der in Hong Kong aufgewachsene Künstler ein Archiv, das die Konzeptualisierung von Kunst als Instrument der Versöhnung in einer Welt demonstriert, in der die Grenze eine Idee ist, die sowohl Hass und Liebe auslöst, Vereinigung und Diaspora, Migration und Schutz, Terror und Sicherheit, Tod und Überleben.
Im Erdgeschoss ist die Installation „Haribo Wall – Gold (Under Construction)“ (2017/2018) zu sehen, die den abstrakten Charakter von Rändern, Grenzflächen und Abgrenzungen untersucht. Die weichen, biegbaren Ziegel aus geschmolzenen Fruchtgummibären offenbaren eine positive Konnotation des zumeist negativ besetzten Begriffs der Mauer. Um die Frage von Abgrenzung geht es im performativen Video „The Silent Wall“ (2014), mit dem Chong das versöhnliche Ergebnis eines Aufenthalts in Sarajevo zeigt. Die zahlreichen Einschusslöcher in den Gemäuern der Stadt – Zeugnisse des Bosnienkriegs – finden nach Recherche des Künstlers wenig Beachtung im Alltag der Bewohner; nicht, weil sie sie als Tabu sehen, sondern weil die Spuren zu ihrer Geschichte gehören und diesen mit einer gewissen Gleichgültigkeit begegnet wird, um die Erinnerungen an die Kriegsgräuel hinter sich zu lassen. Dieser Hintergrund bewog den Künstler, systematisch die Wunden dieser Stadt – Loch für Loch – zu berühren bzw. abzudecken.
Im Obergeschoss steht eine Installation aus Mauersteinen im Mittelpunkt, die das Motto der Europäischen Union, „In Vielfalt geeint“, auf eigenwillige Weise illustriert („In varietate concordia“, 2018). Jeder Ziegel birgt eine der Flaggen der aktuellen Mitgliedsstaaten in sich, auf Kante gefaltet und luftdicht abgeschlossen in künstlichem Harz. Die Supranationalität der EU findet ihre Krönung in einem begleitenden kakofonischen Klang, der sich aus 28 sich überlagernden Nationalhymnen zusammensetzt. Die Arbeit, die extra für die Ausstellung im Kunstraum entstanden ist, veranschaulicht das Dilemma einer Halt gebenden Struktur, die zwischen einer Kultur der Verschiedenheit und Gleichmacherei oszilliert.
In „I Made a Boat in Prison“ (2015) thematisiert der Künstler das Thema von Migration und Diaspora. Für dieses performative Projekt schnitt er Zaundraht aus dem Hof eines ehemaligen Jugendgefängnisses in Weimar und baute damit den Umriss eines Boots nach, mit dem er durch die Straßen von Weimar zog; die Reise endete auf dem ehemaligen Gelände der JVA Weimar. Das Boot wird in seine Einzelteile zerlegt an einer Wand präsentiert, u.a. begleitet von einem Video, das die Reise mit dem Boot dokumentiert.
In der Arbeit „Suspension of the Air“ (2017) ruht ein Bronzeabguss in Form eines Rettungsrings, der bereits Luft verloren hat, auf zerbrochenem Spiegelglas. Die Replik besteht lediglich aus der oberen Hälfte des Rings – ein weiterer Hinweis darauf, dass das Objekt kaum mehr eine lebensrettende Funktion hat, zudem es aufgrund der Materialeigenschaft ohnehin untergehen würde. Chong vergleicht den halb aufgeblasenen Rettungsring mit dem Zustand der Welt, mit der Ohnmacht der Obrigkeiten, angemessen zu helfen und zu retten. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob unter Hilfe bzw. Rettung stets das Gleiche verstanden wird. Hier wird am Rettungsring als Metapher für Sehnsucht und Hoffnung in vielerlei Hinsicht gerüttelt.
Der Titel „An Artistic Archive of Borders“ spielt auf eine neue, zeitgenössische Form des Archivs an, in dem Ideen zum Thema Grenze gesammelt werden und insbesondere der Konflikt zwischen der Idealform einer „offenen Grenze“ und dem inhärenten Bedürfnis, sich abzugrenzen, aufgezeigt wird. Das künstlerische Archiv bietet die Möglichkeit, den Begriff Grenze neu zu durchdenken – Chong ist vor allem an der Ästhetisierung der Grenze interessiert, der Visualisierung des Schrecklichen und des Schönen, um so über künstlerische Mittel zu einer Versöhnung zwischen konkurrierenden Parteien zu gelangen.
Kapitel B ist der zweite Teil des Ausstellungsprojekts, das im Apartment der Kunst mit dem „Kapitel A: The Rehearsal of the Futures“ am 12. Mai gestartet ist und noch bis zum 8. Juni in der Schönfeldstraße 19 zu sehen ist (www.apartmentderkunst.de)
Isaac Chong Wai, 1990 geboren in Guangdong, studierte Bildende Kunst an der Hong Kong Baptist-Universität und „Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien“ an der Bauhaus-Universität Weimar. Er lebt in Berlin und Hong Kong.
In seinen Arbeiten befasst er sich u. a. mit Kollektivismus und Individualismus, politischen Perspektiven von Zeit und Raum, Grenzen, Migration, Rassismus und Identitätspolitik, und setzt diese Themen mittels Performance, Video, Fotografie, Multimedia und ortsspezifischer Installationen um.
Die Ausstellung wird gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Unterricht und Kunst, das Konfuzius-Institut München und die Burger Collection.
Kunstraum München
Holzstraße 10 Rgb.
80469 München
t +49 (0)89 54379900
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